Einleitung
Als der römische Feldherr Pompeius im Jahr 63 vor Christus das Königreich Judäa von den Hasmonäern eroberte, war das jüdische Kernland eine mehr oder minder florierende staatliche Einheit mit Jerusalem als politischem und religiösem Mittelpunkt. Die Römer gaben sich damit zufrieden, dass Klientelkönige Judäa in ihrem Sinne verwalteten und für Ruhe und Ordnung sorgten.
Keine 200 Jahre später waren Judäa und Jerusalem nicht mehr wiederzuerkennen. Juden war es verboten ihre Heilige Stadt zu betreten. Das Land war verwüstet, unzählige seiner Einwohner waren tot oder versklavt und die Überlebenden hatten zu einem guten Teil ihrer Heimat den Rücken gekehrt und waren geflüchtet. Auch vom Tempel, das Allerheiligste des Judentums, war nichts mehr übrig. Nach der ägyptischen Gefangenschaft und dem babylonischen Exil schien endgültig nichts mehr von dem übrig zu sein, was in den Jahrhunderten zuvor aufgebaut worden war. Die Diaspora wurde endgültig zu einem Kennzeichen der Geschichte der Juden. Aus einem zumindest im Inneren eigenständigen Königreich Judäa, das den Römern zu einem guten Teil wohlgesonnen war, war die römische Provinz Palästina, das Philisterland, geworden. Man könnte natürlich auch argumentieren, dass die Römer aus einer Theokratie einen modernen Teil Ihres Imperiums gemacht hatten. Für die jüdische Bevölkerung Judäas aber war es wohl eher die erneute Zerstörung ihrer Kultur, des Zentrums ihres Glaubens und die Vertreibung aus dem ihnen von Gott versprochenen Gelobten Land. Für die nächsten beinahe 2000 Jahre sollten die Juden ein Volk ohne Heimat werden. Wie aber konnte es soweit kommen?
In dieser Arbeit möchte ich auf den Großen Jüdischen Krieg von 66-74 n. Chr., die darauffolgenden Aufstände und die Konsequenzen für die Juden und das „Heilige Land“ eingehen. Neben den direkten Folgen des Krieges, möchte ich auch die langfristigen und strukturellen Änderungen in die Betrachtung miteinbeziehen die sich von den Römern über das christliche geprägte Mittelalter bis heute dadurch ergeben.
Die Situation in Judäa vor dem Krieg
Seit dem 2 Jahrhundert v. Chr. hatte das Römische Imperium seine Macht in der Region Palästina und im östlichen Mittelmeerraum nach und nach ausgeweitet. 63 v. Chr. eroberte Pompeius Jerusalem von den Hasmonäern und beendete eine kurze, unabhängige Zeit dieses Königreichs nach der ägyptischen und babylonischen Gefangenschaft. Zur Zeitenwende herrschte Herodes der Große als König mit umfassender innenpolitischer Macht als Klientelkönig. Seine Söhne als Nachfolger wurden innerhalb kurzer Zeit abgesetzt und so wurde Judäa zur Provinz mit Statthalter. Der Statthalter residierte nicht in Jerusalem, sondern in der römischen Siedlung Caesarea Maritima am Mittelmeer. Die Lokalverwaltung und die Rechtsprechung blieben bis zu einem gewissen Grad der jüdischen Aristokratie erhalten. Ein Privileg der Juden war es, am Kaiserkult, der in besetzten römischen Gebieten üblich war, nur indirekt durch Opfer im Tempel teilnehmen zu müssen.
Unter der direkten Verwaltung Roms mussten die Juden ab dem Jahr 6 direkte Abgaben an den Kaiser leisten. Es wird vermutet, dass sich in dieser Zeit die Gruppe der militanten Zeloten innerhalb des Judentums bildete, für die die römischen Steuern einen Abfall vom wahren Gottesglauben darstellten.
In den Jahren der römischen Statthalter verschlechterte sich die Situation. Wolfgang Geier schreibt dazu: „Er [Anm. Pontius Pilatus] will die Juden demütigen, indem er im Tempel mit Namen und Bildnis des Kaisers aufstellen lässt weniger um Tiberias zu ehren, sondern um das Volk zu beleidigen, wie ein Zeitgenosse schreibt.“
Im Jahr 40 plante Kaiser Caligula eine große Kaiserstatue aufstellen zu lassen. Das traf auf großen Widerstand im jüdischen Volk. Verhindert wurde Caligulas Plan allerdings nicht von den Petitionen der Juden, sondern durch seine Ermordung im Jahr 41.[7] Der Autor des Beitrags „Der Konflikt zwischen Gaius Caligula und den Juden“ Per Bilde glaubt, dass diese Geste eine „relevante religionspolitische Antwort auf palästinensisch-jüdische Handlungen, die der Kaiser als Zeichen eines bevorstehenden bewaffneten jüdischen Aufstandes gedeutet haben könnte“ war.[8]
In den Jahren vor dem Krieg wuchsen die Spannungen zwischen römischer Besatzungsmacht, der jüdischen Oberschicht, dem jüdischen Volk und den religiösen Eiferern und Fanatikern, den Zeloten. So zeigte einer der römischen Soldaten der versammelten Menge am Passahfest seine entblößten Geschlechtsteile um die Juden zu provozieren. Beim anschließend ausbrechenden Tumult zwischen römischen Truppen und den Juden kamen laut Flavius Josephus 20.000 Menschen ums Leben.[9]
Die Römer schafften es auch nicht, innerhalb ihres Herrschaftsgebiets abseits der Stadt die Ordnung aufrecht zu erhalten. So kam es zwischen Samaritanern und Juden zu Zusammenstößen, die von den Römern nur schwer unter Kontrolle gebracht werden konnten und zu weiterer Unzufriedenheit führte. Mehr und mehr bildeten sich unter der Führung der Zeloten Banden, die die Justiz selbst in die Hand nahmen.[10]
Das Verhältnis der Juden und Römer hatte sich nach dem Tod Herodes´ zunehmend verschlechtert. Zudem entstand in dieser Übergangszeit, in der Statthalter das ehemalige Königreich Judäa verwalteten, ein Machtvakuum. Mehrere Gruppen, zum Beispiel die radikalen Zeloten, probierten den Widerstand gegen die verhasste römische Obrigkeit und die in ihren Augen korrumpierte jüdische Aristokratie zu kanalisieren, was schließlich auch gelang.
Der Jüdische Krieg
Im Jahr 66 ließ Gressus Florus, der Prokurator Judäas, unrechtmäßig Silber aus dem Tempelschatz entnehmen. Das war der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Das Volk erhob sich gegen die Römer. Die jüdischen Autoritäten, die religiöse Oberschicht und Aristokratie, die den Römern noch wohlgesonnen waren, konnten die teils militärisch organisierten Massen nicht mehr zurückhalten. Nach schweren Kämpfen befand sich Jerusalem unter der Kontrolle jüdischer Aufständischer. Gressus Florus musste mit den nach ersten Kämpfen dezimierten Truppen nach Caesarea Maritima flüchten.[11]
Neben dem Hohepriester Ananias und seinem Sohn dem Tempelvorsteher Eleasar taten sich in Jerusalem die Zeloten mit ihrem Anführer Menachem hervor. Den römischen Soldaten die in der Stadt verblieben waren, wurde unbehelligter Abzug versprochen, jedoch wurden sie schlussendlich von den Aufständischen ermordet.[12]
Unter den Aufständischen gab es starke Spannungen zwischen den einzelnen Gruppen, die sich in blutigen Auseinandersetzungen innerhalb der Stadt selbst äußerten. Die Zeloten kämpften gegen die aristokratische Priesterschaft. Sie brachten unter anderem den Hohepriester Ananias um, wofür Eleasar den zelotischen Anführer Menachem ermorden ließ. Innerhalb Jerusalems brach während des Kriegs gegen die Römer quasi ein Bürgerkrieg aus.[13]
Die Römer konnten bis 70 n. Chr. das Umland Jerusalems wieder vollständig unter ihre Kontrolle bringen konnten. Nach Belagerung und schweren Kämpfen und um Jerusalem konnten die römischen Legionen X, V, XII und XV unter Titus auch die Stadt 70 n. Chr. schließlich einnehmen.[14]
Die letzte Bastion, die erst im Jahr 74 fiel, war Massada am Toten Meer. Die Festung, einst von Herodes ausgebaut, galt als uneinnehmbar. Hierher hatte sich eine Gruppe von Zeloten zurückgezogen. Als die Römer nach langer Belagerung schließlich den Widerstand brechen konnten, entschieden sich etwa 900 Juden zum kollektiven Selbstmord, um der Versklavung durch die Römer zu entgehen.[15]
War der Krieg an und für sich schon äußerst brutal und grausam geführt worden, beschränkten sich die Römer nicht damit die besiegten Aufständischen zu unterwerfen. Der lange und mühsame Feldzug hatte an den Nerven der Römer gezehrt. Trotz des gerne überlieferten Mythos der Milde, die römische Truppen nach einem Erfolg über ihre Feinde walten ließen, hielten sich die Sieger nun in ihrer Rachsucht nicht zurück. Nach Jahren des jüdischen Widerstands kann man die folgenden Ereignisse wohl auch als eine Art Strafkommando sehen, das das Salzen des Bodens in Karthago etwas mehr als 200 Jahre zuvor um nichts nachsteht.
Die Folgen des Krieges
Im Folgenden möchte die die Folgen des Krieges eingehen.
- Genozid, Versklavung und Vertreibung
- Besetzung Jerusalems und Landvergabe des Umlands an römische Veteranen
- Zerstörung des Tempels und Betretungsverbot Jerusalems
- Innerjüdische gesellschaftliche Spaltung
- Verstärkung des Rufs des unzivilisierten Juden
- Juristische und fiskalische Schlechterstellung
Bereits nach dem ersten Teil des Aufstands, dem jüdischen Sieg in Jerusalem, nahmen die gedemüdigten Römer Rache für die Niederlage und die Auslöschung ihrer verbliebenen Soldaten in Jerusalem. In der römischen Residenz Caesarea Maritima wurden laut Quellen etwa 20.000 Juden hingerichtet. Im ägyptischen Alexandria, das eine große jüdische Gemeinde beheimatete, sollen es 50.000 ermordete Juden gewesen sein die den Pogromen zum Opfer fielen.[16]
Während der Belagerung Jerusalems war es zu großen Grausamkeiten innerhalb der jüdischen Bevölkerung gekommen. In der von der Versorgung abgeschnittenen Stadt kam es in Folge der großen Hungersnot zu Kannibalismus innerhalb der Bevölkerung. Um den Willen der Stadtbevölkerung möglichst rasant zu brechen, hatten die Römer auf Massenkreuzigungen als Zeichen der Einschüchterung vor der Stadt gesetzt, bei denen Hunderte Juden auf diese grausame Art und Weise hingerichtet wurden.[17] Als Jerusalem schließlich fiel, gab es für die Eroberer kein Halten mehr. Nach der Einnahme der Stadt ließ Feldherr Titus zuerst den Tempel in Brand stecken und dann auf den Tempelruinen dem Jupiter opfern um zu zeigen, dass er den Sieg seinem göttlichen Beistand verdankt.[18]
Es kam zu einem wahren Blutbad in der Stadt. Dabei wurden nicht nur die aufständischen Zeloten hingerichtet, auch die Zivilbevölkerung Jerusalems wurde von den Römern bestraft. Die Einwohner der Stadt und die Aufständischen wurden zu einem guten Teil sofort umgebracht. Die überlebenden Frauen und Männer wurden versklavt und in die Bergwerke nach Ägypten geschickt oder in Tier- und Gladiatorenkämpfen eingesetzt. 900 Gefangene wurden mit dem Triumphzug des Titus nach Rom geführt und dort bei Schaukämpfen hingerichtet. Die Opferzahlen waren wohl nicht so hoch wie von Josephus Flavius genannt, der von über einer Million spricht, jedoch kann man annehmen, dass sie im sechsstelligen Bereich lagen.[19]
Jerusalem wurde von den Römern nicht wiederaufgebaut, sondern als militärischer Standort verwendet. Der jüdische Staat und das Heiligtum wurden nicht wiederhergestellt. Das Territorium des ehemaligen jüdischen Tempelstaates kam unter direkte kaiserliche Verwaltung. Das Umland vergaben die Römer an ihre Veteranen. Das Heilige Land der Juden hatte somit keinen politischen oder religiösen Mittelpunkt mehr. [20]
Die gesellschaftliche Struktur innerhalb des jüdischen Volkes hatte unter den Streitigkeiten innerhalb der einzelnen Gruppen ebenso stark gelitten wie die Bevölkerung. Die Partei der Sadduzäer war verschwunden, ebenso die Essener und die geistliche Aristokratie. Von den Religionsparteien waren nur die Pharisäer übriggeblieben. Sie richteten ihr Handeln auf das Studium der Thora aus. Die Ausarbeitung dieses Gesetzwerkes erschien den Schriftgelehrten essentiell, da viele Dinge des religiösen Lebens wie der Opferkult nicht mehr praktiziert werden konnten, jedoch für spätere Generationen bewahrt werden sollten. Die Juden sahen die Katastrophe der Zerstörung und Vertreibung als göttliche Strafe für Sünden, die sie durch die Einhaltung der Gesetze der Thora ausmerzen wollten, um Gottes Zuwendung für das jüdische Volk wieder zu erhalten. Die Freiheit von der Oberherrschaft der Römer wurde zum Leitmotiv allen religiösen Tuns. In diesem Klima aus religiösem und endzeitlichem Fundamentalismus entstand die Saat für die neuerlichen Aufstände, die zur endgültigen Vertreibung der Juden aus Palästina und Jerusalem führen sollten. [21]
Die jüdischen Rabbiner waren zwar ihrer wichtigsten Kultstätte beraubt, behielten aber die Zionstheologie bei. Das Königreich Gottes unter dem Schutz Jahwes war noch immer das Ziel gläubiger Juden, auch wenn die Römer als übermächtiger Gegner erschienen sein müssen. Auch die Rechtsprechung nach jüdischer Tradition mit eigenen Richtern wollte man wiederaufnehmen. Das „frevelhafte Königreich“ unter dessen Joch sich die Juden nunmehr befanden, sollte ausgerottet werden. [22]
Im Jahr 132 begann der Bar Kochba-Aufstand unter der Führung von Simon Bar Kochba, der sich als Messias, also als Erlöser, sah.[23] Ziel des Aufstandes war die Rückeroberung Jerusalems und dessen erneute Etablierung als religiöses Zentrum. [24] Bis zu dreizehn römische Legionen waren notwendig um den Aufstand wieder in den Griff zu bekommen, bevor der letzte Angriff auf die Bergfestung von Bethar 135 das Ende der jüdischen Bemühungen um Unabhängigkeit bedeutete.[25]
Der Krieg in Judäa hatte allerdings nicht nur auf die Provinz Judäa Auswirklungen. Viele jüdische Gemeinden außerhalb Judäas waren ebenfalls von den Ereignissen betroffen, nicht nur durch römische Pogrome, sondern auch durch jüdische Flüchtlinge. Diese Vertriebenen legten ihren Fanatismus auch außerhalb Judäas nicht ab und verfolgten ihre politischen und religiösen Überzeugungen mit Nachdruck. So kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzung, wobei sich die Gewalt nicht immer nur gegen die verhassten Römer richtete.
So kam es zum Beispiel in Ägypten zu einer innerjüdischen Auseinandersetzung. Nach dem Babylonischen Exil im 6. Jahrhundert vor Christus hatten sich in vielen Städten der antiken Mittelmeerwelt große jüdische Gemeinden angesiedelt. Zwar war die Mehrheit der Juden wieder nach Judäa zurückgewandert, viele assimilierte Juden blieben aber in den Kolonien, wo sie sich mittlerweile angesiedelt hatten. Die bedeutendste jüdische Siedlung befand sich im ägyptischen Alexandria.[26] Nach dem Jüdischen Krieg waren die Sikarier, eine besonders gefürchtete Fraktion der Zeloten, in jüdischen Gemeinden außerhalb Judäas untergetaucht. Sie probierten den Kampf gegen Rom von der Ferne aus fortzusetzen. So war die große jüdische Diaspora in Alexandria von Unruhen betroffen, was auch zu Unzufriedenheit unter den anderen jüdischen Bevölkerungsgruppen führte. In Alexandria ließ der Ältestenrat der dortigen jüdischen Gemeinde 600 Sikarier festnehmen und ausliefern. Diese jüdischen Gotteskrieger allerdings wollten den römischen Kaiser auch unter Folter nicht anerkennen.[27]
Es gibt auch Beispiele dafür, dass Juden sich mit den Feinden Roms verbündeten. Die extremistischen Mitglieder der jüdischen Diaspora nahmen durch ihren Hass auf die römischen Zerstörer ihrer Heimat motiviert in mehreren Aufständen gegen Rom teil, zum Beispiel im Partherkrieg in Mesopotamien. Auch in der Cyrenaica, auf Zypern und in Ägypten kam es zu blutigen Aufständen, die den römischen Blick auf die Juden wohl nachhaltig veränderte.[28]
Der Jüdische Krieg und der Bar Kochba Aufstand hatten somit aber auch über die Todesopfer und die Vertreibung der Juden aus ihrem Stammland hinaus Folgen. Die Römer wollten das Königreich Judäa endgültig von der Landkarte und aus dem Gedächtnis der Menschen tilgen. Der Name Judäa wurde ersetzt durch Palästina, was soviel bedeutet wie Land der Philister.[29] Jerusalem wurde zur römischen Militärkolonie und erhält den Namen Aelia Capitolina.[30]
Die Römer machten Jerusalem zu ihrem administrativen Zentrum der Levante. Alle jüdischen Symbole und Zeichen wurden entfernt, Juden das Betreten der Stadt bei Todesstrafe verboten. Das Aussehen der Stadt wurde an die typische römische Kolonialstadt angepasst [Anm.: Die Ausgrabungen des römischen Cardo in Jerusalem zeugen heute noch vom Aussehen Jerusalems]. Auf den Tempelberg bauten die Römer einen Jupitertempel.[31]
Auch Ansehen und Stand der Juden im römischen Reich, litten nach der Zerstörung massiv. Wolfgang Geier schreibt dazu: „Juden, die in allen Teilen des römischen Imperiums, auch außerhalb der Mittelmeerwelt anzutreffen waren, wurden von römischen Kaisern verachtet und sehr schlecht behandelt. Für Römer waren Juden vor allem Unterworfene, römischer Denkungsart und Tugenden nicht fähig, unzivilisiert und halbbarbarisch. Sie blieben, je nach Lage und Kaiser, in einem Zustand der Rechtlosigkeit und erhielten nicht den Status eines Civis Romanus, der vielen anderen Völkern zuerkannt wurde.“[32]
Aufschluss darüber geben einige Quellen, darunter der Codex Theodosianus, ein Gesetzeswerk das ab 439 im gesamten Römischen Imperium Gültigkeit besaß. Zuvor schon hatten unter Kaiser Constantin Kampagnen gegen jüdische Gemeinden und Bürger begonnen. Nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war, war es Juden verboten vom Judentum zum Christentum zu konvertieren. Damit war die soziale Mobilität stark eingeschränkt. Auch in Steuerdingen waren Juden benachteiligt.[33]
Fazit
Der Großteil der Quellen über den Jüdischen Krieg, die ich in diesem Beitrag verwendet habe, fußt auf den Berichten des Flavius Josephus. Dieser Geschichtsschreiber kämpfte im jüdisch-römischen Krieg zuerst auf jüdischer Seite, bevor er gefangengenommen und von den Römern als Dolmetscher eingesetzt wurde. Er schaffte es, sich als Günstling des römischen Kaisers zu etablieren und schrieb in Rom sein Hauptwerk De bello Judaico. An den Opferzahlen die Flavius Josephus nennt, darf man zwar zweifeln, die Behandlung der besiegten Juden durch die Römer muss nichtsdestotrotz fürchterlich gewesen sein. Glaubt man Josephus, gingen die direkten Opferzahlen in den sechsstelligen Bereich. Das mag übertrieben sein, man kann aber davon ausgehen, dass ein Großteil der Bevölkerung nach dem Bar Kochba Aufstand von den Römern ermordet oder vertrieben worden war.
Die Zerstörung des zweiten Tempels, die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Judäa und die Zerstörung Jerusalems durch die Römer können durchaus als die große Katastrophe vormoderner Zeit für das Jüdische Volk gesehen werden. Ich denke, man kann die Folgen des Jüdischen Krieges und des Bar Kochba Aufstandes in zwei große Faktoren zerlegen. Die Zerstörung Jerusalems und die Ermordung eines großen Teils der Bevölkerung sind die direkten Folgen. Nicht weniger dramatisch für die weitere Entwicklung des jüdischen Lebens innerhalb des römischen Imperiums sind allerdings die strukturellen Änderungen, die die Römer in Judäa vornahmen, da sie dauerhaft Wirkung zeigten.
Zur materiellen und zahlenmäßig erfassbaren Zerstörung, kommt der nicht direkt greifbare Faktor hinzu. Nicht nur wurde der kulturelle Lebensraum des jüdischen Volkes, das Heilige Land für gläubige Juden, von einer Besatzungsmacht übernommen, es kam zu einer weitgehenden Auslöschung der Kultur. Für Juden waren Religion, Sitten, Bräuche und Alltag nur noch schwer zu organisieren nachdem Jerusalem als ihr gesellschaftliches Zentrum dem Erdboden gleichgemacht worden war.
Die Gesellschaft, die wohl auch zu Zeiten König Herodes gespalten war, zerfiel immer mehr in rivalisierende Gruppen. Herodes mag zwar nur der verlängerte Arm der Römer und ein Klientelkönig gewesen sein, immerhin schaffte er es aber die diversen Fraktionen unter Kontrolle zu halten und für Ordnung zu sorgen. Durch die römische Unterdrückung wurde extremistischen Gotteskriegern fruchtbarer Nährboden bereitet, die das Bild des widerspenstigen Juden innerhalb des römischen Reichs wohl noch verstärkten.
Für viele Jahrhunderte quer durch Antike und Mittelalter, vielleicht sogar bis in die Gegenwart, kann man Antisemitismus und Judenfeindlichkeit auf den Status der Juden im Römischen Reich und die antijüdische Einstellung des frühen Christentums zurückführen. Als das Christentum in Rom 391 zur Staatsreligion aufstieg und die frühen Christen sich vom Judentum abgrenzen wollten, verstärkte sich der Antisemitismus wohl noch weiter und festigte sich strukturell. Diese Ressentiments trugen sich durch das Mittelalter bis ins Hier und Heute. Für Wolfgang Geier sind der Antijudaismus des Christentums keine neuen Erfindungen, sondern nur die konsequente Weiterführung der römischen Agenda.[34] Natürlich kann man nicht alles Unrecht das den Juden im Anschluss an die römische Auslöschung geschah auf diese Zeit zurückführen. Der Grundstein für den zerstörerischen Antisemitismus, der seinen Höhepunkt im Holocaust des 20. Jahrhunderts erreichte, wurde aber wohl von den Römern gelegt.
Zum Symbol für den jüdischen Widerstandsgeist mauserte sich die Legende der Felsenfestung Massada, der letzten heroisch gehaltenen Bastion der Juden im Krieg gegen die Römer. Bis heute gilt Massada als nationales Symbol, auf das sich auch die zionistische Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts stützte.