Einleitung

 

Als der römische Feldherr Pompeius im Jahr 63 v. Chr. das Königreich Judäa von den Hasmonäern eroberte, war das jüdische Kernland eine mehr oder minder florierende staatliche Einheit mit Jerusalem als politischem und religiösem Zentrum. Der Große Jüdische Krieg von 66–74 n. Chr. stellte eine herbe Zäsur dar, an deren Ende die Zerstörung des Tempels und eine komplette strukturelle Umgestaltung samt Umbenennung der gesamten Region und einer Diaspora der jüdischen Bevölkerung standen.

Diese Ereignisse und die Geschichte, wie es dazu kommen konnte, wurden vom jüdischen Historiographen Flavius Josephus, der nach seiner Gefangennahme im Jüdischen Krieg in Römischen Diensten stand, in mehreren Werken festgehalten. In seinen Schriften schildert Flavius Jospehus allerdings nicht nur die Ereignisgeschichte, sondern beschreibt auch das Wesen des Judentums, Landschaft und Städte und die Bevölkerung Judäas. Diese Werke zählen zu den wichtigsten Quellen für diesen Teil der Geschichte des heutigen Nahen Ostens. Ein anderer Autor dieser Periode, der sich mit dem Judentum auseinandersetzte, war der römische Politiker Tacitus, der in seinen „Historien“ ebenfalls auf den Palästina, das Judentum und den Jüdischen Krieg einging.

 

In meiner Arbeit werde ich auf die Vita und die Berichte dieser beiden bedeutenden Schriftsteller eingehen und einen Vergleich in den Beschreibungen über Bräuche, religiöse Praktiken und Beschreibung des Landes ziehen. Dabei möchte ich auf mehrere Fragen beantworten. Aus welcher Perspektive beziehungsweise für welches Publikum stellen Flavius Josephus und Tacitus das Judentum jeweils dar? Welche Weltsicht vertreten die beiden? Welche Absichten stehen hinter den Beschreibungen und Berichten? Wie werden religiöse Praktiken und die Bewohner Palästinas beschrieben? Wie schneidet das Imperium Romanum aus der Sicht der beiden Schriftsteller ab? Ich denke, dass die Ansichten der beiden Schriftsteller sich sowohl durch ihre unterschiedlichen Biographien, ihre Herkunft, die politische Situation und die daraus resultierenden Absichten wie auch durch das rezipierende Publikum der Werke beeinflusst wurden. Darüber hinaus möchte ich auch aufzeigen, dass sich manche von diesen antiken Autoren aufgestellten Ansichten zum jüdischen Volk nachhaltig in Vorurteile verwandelt haben, die bis heute Bestand haben.

 

Der Forschungsstand sowohl zu Tacitus´ Historien und Annalen wie auch zu Flavius Josephus drei Hauptwerken Vita, Der Jüdische Krieg und Contra Apionem ist sehr gut. Neben den Geschichtswissenschaften beschäftigt sich auch die Theologie intensiv mit diesen Schriften, da sie zu den wichtigsten Zeugnissen des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Palästina gehören. Lena Strauß beschreibt in ihrer Schrift „Das Fremdenbild bei Flavius Josephus“ die Sicht des Autors auf die römische und griechische Welt. In Viktor Pöschls Sammelband Tacitus wird das römische Bild auf Juden und in der Folge Christen untersucht. Einen Vergleich zwischen der Sicht des Tacitus und des Flavius Josephus in ihren Beschreibungen Palästinas und des jüdischen Volkes konnte ich nicht finden.

 

Flavius Josephus

 

Flavius Josephus beschrieb seine Herkunft als „durchaus nobel“. Laut seiner Selbstbeschreibung stammte er „aus einer keineswegs unbedeutenden Familie, sondern aus einer, die seit Urzeiten von Priestern herkommt“. Er durchlief Ausbildungen in allen drei der bedeutenden jüdischen Geistesströmungen der Pharisäer, der Sadduzäer und der Essener. Im Alter von 19 entschied er sich dafür, sich an eine Richtung der Pharisäer zu halten die in etwa der griechischen Stoa in philosophischer Hinsicht entsprach.  Mit 26 Jahren besuchte er erstmals Rom und lernt mit Poppaea, der Frau Kaiser Neros, zumindest ein Mitglied der obersten römischen Elite kennen. Nach seiner Rückkehr begab sich Flavius Josephus im Auftrag des Jerusalemer Rat als Kommandant nach Galiläa, um dort einen Aufstand gegen die Römer zu befrieden.

 

Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass er der Rom nicht abgeneigten Oberschicht entstammte, die Lena Strauß als „graecopalästinisch“, also jüdisch mit stark hellenistischem Einfluss, beschreibt. Während des Jüdischen Krieges wurde Flavius Josephus bei Jotapata vom römischen Feldherrn Vespasian gefangengenommen. Durch die Prophezeiung, dass Vespasian und dessen Sohn Titus Kaiser werden würden, konnte Flavius Josephus eine Sonderstellung innerhalb der römischen Gesellschaft erlangen. Auch sein bisheriger Lebensweg kam ihm in Hinblick auf die Integration innerhalb der römischen Gesellschaft wohl entgegen. Während er in Judäa als Verräter galt, konnte er als Günstling verschiedener Kaiser in Rom seinem schriftstellerischen Tun nachgehen. Er starb um 100 n. Chr. in Rom.

 

Seine Schriften, besonders „Contra Apionem“, können als eine Art Verteidigungsschrift gesehen werden und sollten zur Verbesserung des durchwegs schlechten Rufes, den die Juden innerhalb des Römischen Imperiums genossen, dienen. Als Geschichtsschreiber blieb Flavius Josephus ganz im Stil seiner Zeit. Es ging ihm weniger darum in unserem wissenschaftlichen Verständnis des 21. Jahrhunderts Tatsachen und Wahrheiten aufzudecken als vielmehr um eine Darstellung nach seinen Moralvorstellungen. In einem kleinen Exkurs beschreibt Flavius Josephus seine Auffassung der Historiographie. So kann man durchaus „die Bosheit gewisser Leute aufdecken, solange es ohne Bitterkeit geschieht, (dies aber) nicht ihnen zu Gefallen, sondern um selbst Mäßigung zu beweisen“. Diese Ansicht entspricht ebenfalls der stoischen Philosophie. Seine romfreundliche Politik machte ihn bei den Bewohnern Judäas unbeliebt. So sagte Flavius Josephus über sich selbst: „Ich weiß, die Juden werden meinen Tod mit einem Freudenfest feiern…“

 

 

Beschreibung der Juden und Palästinas bei Flavius Josephus

 

Anders als bei den meisten anderen Schriftstellern zeichnete Flavius Josephus ein Bild des jüdischen Volkes, der es als durchaus tüchtig charakterisiert, auch wenn er die Juden im Vergleich zum römischen Imperium als weniger mächtig auftreten ließ. Flavius Josephus schilderte die Juden als Volk, das die Bebauung des Landes dem Handel vorzieht, Gesetze und Kindererziehung an die oberste Stelle stellt und Geld- sowie territoriale Vermehrung ablehnend gegenübersteht.

 

Die jüdische Revolutionspartei stellte Flavius Josephus als reich an „Streitkräften wie Mitteln“ dar. Er wollte damit den Spagat zustande bringen, sowohl seinen Wurzeln wie auch seinem römischen Publikum gerecht zu werden. Die römische und griechische Beschreibung der Ereignisse lehnte Josephus als „schmeichlerisch entstellt“ ab. Flavius Josephus störte sich sehr an der Darstellung der Juden in der Geschichtsschreibung als klein und unbedeutend, während die Römer überhöht wurden. Zwar nahm er das Imperium Romanum durchaus als Maß aller Dinge wahr, wollte die Diffamierung seines eigenen Volkes aber nicht unwidersprochen hinnehmen. Interessant ist, dass er Araber, Parther und Babylonier als Stammesbrüder der Juden bezeichnete. Josephus Flavius zeigte auch auf, dass es ägyptische Juden und judäische Juden gäbe. Diese frühe Form der Zusammengehörigkeit über das Judentum anstatt einen Herrschaftsverband finde ich sehr interessant. (Anmerkung: zionistische Denker wie Arthur Ruppin, der ebenfalls die Ähnlichkeiten zwischen Juden und den anderen Völkern des Nahen Ostens sah, griffen diesen Gedanken  fast 2000 Jahre später wieder auf und gründeten den Staat Israel als „Staat für alle Juden“.

 

Auch Jerusalem als Stadt und Palästina ließ Flavius Josephus in einem besseren Licht erscheinen als die anderen Schriftsteller seiner Zeit. Er bezeichnete Jerusalem als die „wohlhabendste aller Städte im Römischen Machtbereich“. Stadt, Tempel und Mauern wurden von ihm als uneinnehmbar dargestellt.

 

 

Das Verhältnis zwischen Judäa und dem Imperium Romanum

 

Flavius Josephus ließ es sich sehr häufig nicht nehmen die Römer und das römische Heer als besonders furchteinflößend und diszipliniert zu beschreiben. So schafft er es beide Seiten als mächtig zu zeichnen. Die Parther hingegen, die Erzfeinde der Römer, lehnte er als frevelnde und plündernde Barbaren ab. Josephus pries die Dominanz der Römer über ruhmreiche Völker der Vergangenheit wie die Athener, Spartaner und Makedonen in Form der Rede Königs Agrippa zu seinem Volk. Das Lob für seine Herrscher und die Gunst seines Publikums waren ihm erneut wichtig.

 

Den Wunsch der Juden nach Freiheit und dem Abwerfen des römischen Jochs sah er als vergeblich und stellt das Anrecht der Juden auf diese Freiheit als kleiner dar als das Anrecht der griechischen Völker, die seiner Meinung nach tugendhafter seien. Er warnte die Juden vor einem Krieg, auch unter der Anmerkung, dass die Römer ohnehin tolerante und „von menschenfreundlicher Haltung“ seien. Die Juden aber könnten sinnvoller Weise im Namen Gottes keinen Krieg gewinnen. Das Ruhegebot des Sabbats zu übertreten würde einen Krieg ad absurdum führen, den Sabbat einzuhalten den Römern einen großen Vorteil gewähren.

 

Trotzdem rühmte er die Kriegskunst seines Volkes. Dabei beschrieb er sich selbst als besonders listigen Feldherrn als er davon erzählt, wie er die Stadt Tiberias ohne Blutvergießen einnehmen konnte. Im Umgang mit dem besiegten Feind zeigte er sich hart, aber gnädig. So werden alle Beteiligten verschont, nur Kletos, der Urheber des Aufstands gegen Flavius Josephus, musste sich eine Hand abhacken. Eine Geste, die dem römischen Wesen und der Pax Romana wohl entsprach.

 

 

Das hellenistische Palästina bei Flavius Josephus

 

Seine Abstammung aus der hellenistisch geprägten Oberschichte Judäas half Flavius Josephus wohl nicht nur dabei sich nach seiner Gefangennahme durch Vespasian in der römischen Gesellschaft zurechtzufinden, er schaffte es durch seine Ansichten auch sich durch seine Schriften innerhalb dieser Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Viele seiner Ausführungen und Beschreibungen stießen in Judäa zwar auf Ablehnung und Anfeindung, trafen in Rom aber den Publikumsgeschmack. Flavius Josephus färbte in seinen Schriften Judäa und die Juden sehr gerne nach seinem eigenen Weltbild. So nimmt er im Jüdischen Krieg häufig auf den Klientelkönig Herodes Bezug, der ebenfalls der graecopalästinischen Aristokratie entsprang. Herodes wird vor der Schlacht bei Philadelphia (Anm. Amman) gegen die Araber ähnlich einer Chimäre aus jüdischer und hellenistischer Weltsicht dargestellt. Zuerst bezieht er sich in der von Flavius Josephus geschilderten Rede an seine Truppen ganz in jüdischer Tradition auf Gott. Im Laufe seiner Ansprache brachte er dann aber das Glück mit ein und schreibt Naturkatastrophen wie das Erdbeben, das sich im Vorfeld der Schlacht ereignete, eben nicht jenem jüdischen Schöpfergott zu. Flavius Josephus vermischt in der Person des Herodes den Glauben an Fortuna, menschliches Recht und Unrecht und göttliches Schicksal. Flavius Josephus stellt Herodes als Mäzen dar, der auch über die eigenen Reichsgrenzen hinaus Stifter wichtiger Bauwerke auftritt. Auch sein Kriegsgeschick wird über alle Maße gelobt. Sein designierter Nachfolger Antipater wird im Vergleich zum ruhmreichen Vater, der sich „ständig zu verjüngen scheint“, als wesentlich weniger tugendhaft und unbeliebt im Volk beschrieben.

Auch an der Namensgebung neu erbauter Gebäude- und Stadtteile in Jerusalem oder der Neugründung von Städten erkennt man die immer stärker werdende Öffnung hin zu Rom, die die Juden unter Herodes vollzogen. Tempelbezirke, zum Beispiel in Samaria, wurden dem Caesar geweiht. Das bekannteste Beispiel für die Romanisierung unter Herodes ist die neu erschaffene Hafenstadt Caesarea an der Westküste des heutigen Israel, die Josephus Flavius ebenfalls sehr eindrücklich in all ihrer Pracht beschreibt.

 

 

Beschreibung der jüdischen Religion bei Flavius Josephus

 

Die Andersartigkeit der Juden drückte sich vor allem in ihrem Monotheismus aus. Der totalitäre Aspekt der jüdischen Religion verhinderte in vielerlei Hinsicht eine Teilnahme der Juden am sozialen Leben. Dies erkannte Flavius Josephus an. Eingehend beschrieb er die drei philosophischen Richtungen innerhalb des jüdischen Glaubens, die er als „Sekten bezeichnete. Besonders interessant und exotisch mutet die Beschreibung der Essener an. Der Autor wollte damit wohl auch zusätzliches Interesse für sein Werk ergattern. Viele ihrer Traditionen und Gebräuche müssen für die griechische und römische Leserschaft seiner Texte als überaus ungewöhnlich gegolten haben. Er stellte ihre Enthaltsamkeit und die Ablehnung jedweglichen Begehrens und aller Leidenschaften zwar in die Traditon griechischer Philosophen, beschrieb den Alltag aber auf eine beinahe schon extreme Art und Weise. Aufnahmerituale, Ehe, Rechtswesen, Kindererziehung, Glaubensgrundsätze und Ausübung, Kleidung, Sozialwesen sowie ihr eigenes Verhältnis zu Individualität, Obrigkeit und persönlichem Besitz werden von Flavius Josephus sehr detailreich geschildert. Die Pharisäer nahmen für Flavius Josephus den ersten Platz unter den Glaubensrichtungen ein, da sie sich vorwiegend der Auslegung der Gesetze widmen. (Anm. Josephus beschreibt in der Vita, dass er die meiste Zeit seiner Ausbildung bei den Pharisäern verbracht habe.) Die Sadduzäer lehnten jedes göttliche Eingreifen laut Flavius Josephus ab. Auch ein Leben nach dem Tod negierten sie. Durch den Wegfall der drohenden „Verdammnis“ in ihrem Glaubensbild nach dem Tod, an die die Pharisäer glaubten, hielten sich die Sadduzäer auch nicht an allzu gutes Benehmen in ihrem irdischen Dasein, was zu einem Verfall der Manieren führte.

 

Die Juden werden als sehr gläubig und fromm auch in der Zeit höchster Bedrohung durch das Heer des Pompeius dargestellt. Die Riten im Tempel wurden trotz widrigster Umstände sorgfältig durchgeführt. Das Opfer wird als das Allerheiligste und für die Priester als wichtiger als Leib und Leben dargestellt. Die Frömmigkeit der Juden beschrieb Flavius Josephus auch in einer anderen Episode. Als der Statthalter Pilatus ein Kaiserbildnis im Tempel aufstellen ließ, protestierten die Juden unter Einsatz des eigenen Lebens gegen diese Maßnahme. Pilatus war durch diesen Akt derart beeindruckt, dass er befahl das Kaiserbildnis doch nicht aufzustellen. Das Gottkaisertum war für Flavius Josephus eine Verfehlung.

 

Auch wenn Flavius Josephus aus einer jüdischen Priesterfamilie stammte und auch eine religiöse Ausbildung genoss, ist er doch nicht nur hellenistisch geprägt, sondern schreibt auch in Bezug auf Religion durchaus so, wie es sein Publikum gerne hören möchte. In einem Disput gibt Flavius Josephus zu verstehen, dass er gegen eine Zwangsbeschneidung aller ist, die dem jüdischen Volk angehören möchten. Dies entsprach nicht dem damaligen religiösen Verständnis innerhalb des Judentums. In einer anderen Episode aus der Vita gab Flavius Josephus zu verstehen, dass er auch von Zauberei und anderem Aberglauben wenig hält.

 

Beschreibung des jüdischen Gesetzes bei Flavius Josephus

 

Die Frömmigkeit drückte sich auch in der Gesetzgebung aus. So sah sich Moses als Führer des jüdischen Volkes lediglich als eine Art Helfer Gottes. Moses´ Gesetze stufte er als besonders tauglich ein, da Juden die totalitäre Beaufsichtigung ihres Lebens durch die Gesetze göttlicher Herkunft nicht verletzen würden. Diese Theokratie verteidigte Flavius Josephus gegenüber anderen Herrschaftsformen. Besonders wirksam seien die Gesetze Gottes, weil jeder Jude durch das ständige Wiederholen der Gesetze diese nicht versehentlich vergessen konnte und somit zum gesellschaftlichen Frieden beitrug. Durch die Gesetze wurde auch gesellschaftliche Einheit geschaffen. Als Beweis für die Tugendhaftigkeit der jüdischen Gesetzgebung zog er einen Vergleich zu den Spartanern, deren Gesetzesgehorsam als besonders bewundernswert in der Antike galt. Für Flavius Josephus allerdings war der jüdische Gesetzesgehorsam sogar noch ausgeprägter in Strenge und Dauer, was die Juden somit als höherwertig in dieser Hinsicht machte. Flavius Josephus zog durch die Aufzählung Lebensbereiche, in denen Juden besonders enthaltsam waren, eventuell bewusst einen Vergleich mit der in Rom als Staatsphilosophie geltenden Stoa.

Tacitus

 

Über Tacitus´ Leben ist wenig bekannt. Es ist nicht genau überliefert, wann oder wo er geboren wurde. Auch sein genaues Sterbedatum ist nicht bekannt. Die Literatur lässt erahnen, dass er zwischen 55 und 58 nach Christus geboren wurde und zwischen 117 und 120 n. Chr. verstarb. Nicht mal über seinen Vornamen, wohl Gaius oder Publius, herrscht Einigkeit. Es ist anzunehmen, dass er aus besserem Hause als junger Mann nach Rom kam, um dort sein Studium zu beenden. 77 n. Chr. heiratete er die Tochter des Prokonsuls der Provinz Britannien. Anschließend begann er die politische Ämterlaufbahn, die er 97 n. Chr. mit seinem Posten als Konsul krönte. Zwischen 112 und 114 n. Chr. war er Prokonsul der Provinz Asia. Für jemanden, der wohl kein herausragender Politiker war, stellte dies eine mehr als achtbare Karriere dar. Bekannt wurde Tacitus als Schriftsteller und Redner. Seine Reden und Werke waren von einer Ambiguität zwischen seiner Zuneigung zur alten Republik und der Treue zum Kaisertum geprägt. Seine Hauptwerke aus historiographischer Sicht sind die „Historien“ und die „Annales“. In den Historien nahm Tacitus auf einigen Seiten Judäa und die Juden in den Fokus seiner Erzählung.

 

Der Sinn und Zweck der Historiographie des Tacitus war es, die Tugend beispielhaft darzustellen und nicht in der Wahrheitsfindung. Auch er sieht die antike Geschichtsschreibung seit Thukydides in dieser Tradition. Für Tacitus war es wie für die meisten anderen antiken Geschichtsschreiber ausschließlich für Historiker, die über ihre eigene Zeit berichten, verpflichtend Quellen zu verwenden. Vergangenes sollte durch den Vergleich anderer Schriftsteller dargestellt werden. Für Victor „…ist Wahrheitsdrang nicht die Triebfeder, ist Wahrheit nicht das Ziel seiner Darstellung gewesen.“

 

 

Beschreibung Jerusalems und Palästinas bei Tacitus

 

Tacitus gibt ausgiebig über Klima, Topographie und Beschaffenheit des Landes an und für sich sowie dessen Hauptstadt Jerusalem Auskunft. Das Hermongebirge tituliert er mit dem Namen Libanon. Sehr präzise beschreibt er den Weg des Jordans durch den See Genezareth und das Tote Meer. Tacitus bzw seine Quelle schienen wohl auch mit der biblischen Geschichte von Sodom und Gomorrha vertraut gewesen zu sein. Im Gegensatz zur jüdischen Bevölkerung aber, die den Zorn Gottes für die Dürre und Unfruchtbarkeit der judäischen Wüste verantwortlich machte, schrieb Tacitus dem Toten Meer, dem Asphaltsee, die schädliche Wirkung für Mensch und Tier zu. Diese Beschreibung der Landschaft lässt Judäa als einen besonders gefährlichen und fremdartigen Ort erscheinen und unterstreicht die Andersartigkeit des Judentums in Sitten und Gebräuchen.

 

In der Beschreibung Jerusalems begnügte sich Tacitus auf einen Satz, betonte aber in diesem Zusammenhang nochmals den Reichtum des Tempels. Dieses Faktum schien ihn anzustacheln erneut die Juden zu diffamieren und ihre Geschichte und Sitten anzugreifen.

 

 

Tacitus über die Entstehung des jüdischen Volkes

 

Alter und Entstehungsgeschichte eines Volkes waren in der Antike wichtige Faktoren, um anerkannt zu werden. Was den Römern Vergils Aeneis war, war für Juden die Entstehungsgeschichte der Bibel. Aus ihr leiteten sich Selbstverständnis und Gesetze ab.

 

Tacitus gab fünf Varianten der Entstehung des jüdischen Volkes. Bis auf die letzte in seiner Schrift erwähnte stellt er die Juden als Flüchtlinge aus anderen Ländern dar. Kreta, Ägypten, Äthiopien und Assyrien sah Tacitus sieht er als wahrscheinliche Herkunftsregionen, wobei die Juden in der deutschen Übersetzung als „Überschuss“ und „Flüchtlinge“ bezeichnet werden.

Als wahrscheinlichste Variante betrachtete Tacitus den Auszug aus Ägypten. Allerdings beschrieb er diesen Auszug nicht als eine heldenhafte Befreiung wie in der Bibel dargestellt. Viel mehr hätte sich der König in einer Säuberung dazu entschlossen „…dieses Geschlecht als gottverhasst in andere Länder ab(zu)schieben…“ Moses wurde von Tacitus naturgemäß auch nicht als Helfer Gottes wie von Flavius Josephus gesehen, sondern lediglich als „unum exulum“ (einer der Ausgewiesenen). Tacitus räumte den Juden damit zwar ein, ein Volk mit Geschichte zu sein, schmälerte aber diese Geschichte durch seine Darstellung ihrer Entstehung.

 

Beschreibung der jüdischen Religion bei Tacitus

 

“Profana illic omnia quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae nobis incesta.” (Unheilig dort alles was bei uns heilig, hingegen erlaubt bei jenen was bei uns Unzucht.) Dieser Satz beschreibt die Grundeinstellung Tacitus´ gegenüber dem Judentum in aller Kürze. Die Juden hatten innerhalb des Imperium Romanum lange Zeit eine Sonderstellung. Diese Sonderstellung stieß bei Zeitgenossen auf wenig Gegenliebe. Tacitus warf ihnen, wie auch die beiden Schriftsteller Cassius Dio und Cicero es taten, den „Menschenhass“ auf Fremde vor, der von den Juden auf sie übergegangen sei. Tacitus sah im Zusammenhalt innerhalb des jüdischen Volkes lediglich das den Hass auf alle anderen, der sich nicht zuletzt dadurch zeigte, dass Geschlechtsverkehr mit Mitgliedern anderer Völker streng verboten war.

 

Die jüdischen Traditionen und Bräuche, die er in Kapitel 4 des Buches V aufzählte, rechtfertigte Tacitus durch das hohe Alter des jüdischen Volkes. Er bemühte sich sichtlich darum, den jüdischen Glauben und die damit einhergehenden Sitten als das genaue Gegenteil zum hellenistischen Rom zu zeigen. Tacitus beschrieb den Tempel mit Tierbildnis und die Opfer, wobei er darauf hinweist, dass das Stieropfer auf die Ägypter zurückgeht. Viele der Institutionen und vieles in der Lebensführung der Juden wurde von Tacitus allerdings heftig kritisiert. Er fand dafür auch sehr drastische Worte in seiner Beschreibung (sinistra foeda). Der sozial stützenden Funktion der Religion trug er keine Rechenschaft. Ebenso berichtete er von den Essgewohnheiten mit dem Verzicht auf Schweinefleisch, dem Fasten und dem Sauerteigbrot. Den Sabbat führte Tacitus als einen Hinweis auf Müßiggang und Faulheit an, der dem jüdischen Volk laut ihm zu eigen sei. Diese Schilderungen der jüdischen Religion erschienen dem römischen Publikum mit Sicherheit exotisch und fremd, ähnlich der Darstellung der germanischen Barbaren bei Tacitus.

 

Tacitus schrieb über die Beschneidung, den Glauben an ein Leben nach dem Tod für im Kampf Getötete. Diese Sitten waren für ihn ein weiterer Hinweis für die Andersartigkeit und die Fremdheit dieses Volkes gegenüber allen anderen innerhalb des Römischen Imperiums hinweisen. Auch hier zog er wieder eine Parallele zu den Ägyptern und deren Totenkult, wobei er ausdrücklich auf das rein geistige Wesen Gottes und den jüdischen Monotheismus hinwies. Auch die Weigerung Gottesbilder aufzustellen und die Umzüge erwähnte Tacitus, bezeichnete diese aber als „mos absurdus“ (abartige Sitte). Diese andauernd unterschwellige Diffamierung des jüdischen Volkes übertrug Tacitus in weiterer Folge auch auf die Christen.

Fazit

 

Das erste Jahrhundert nach der Zeitenwende stellte den Anfang der langen Diaspora des jüdischen Volkes dar. Flavius Josephus Werk zählt zu den wichtigsten Quellen rund um den Jüdischen Krieg. Von der Vorgeschichte zu dieser Auseinandersetzung bis hin zur Belagerung Massadas schilderte er die Vorgänge sehr detailliert, auch wenn man die Texte gemäß der Tradition der antiken Historiographie nicht eins zu eins für bare Münze nehmen darf.

Bei Tacitus hingegen ist Palästina und seinen Bewohnern in den „Historien“ nur ein kleiner Abschnitt gegönnt. Der knappe Bericht liest sich wie ein Reisebericht eines Forschers, der seinem Publikum Land und Leute dieses Teils des Imperium Romanum möglichst exotisch darstellen möchte.

 

Beide Autoren genossen eine hellenistisch geprägte Erziehung, wobei bei Flavius Josephus auch das Judentum, dem er entstammte, eine Rolle in der Prägung spielte. Beide Autoren entstammten der Oberschicht ihrer Gesellschaft und waren politisch tätig. Beide Autoren schrieben für ein römisches Publikum und wollten diesem auch gefallen. Beide Autoren waren Kinder ihrer Zeit was die Herangehensweise an die Historiographie betrifft. Die Findung objektiver Wahrheit stand nicht im Zentrum ihres Interesses, vielmehr trachteten sie danach ihre Vorstellung der Dinge und ihren Standpunkt durch Erzählungen zu untermauern und ihr Publikum zu begeistern. Zudem waren beide der Ansicht, zumindest bis zu einem gewissen Grad, dass die Römer ihre Vorherrschaft in der Region zu Recht ausübten.

 

Während Tacitus allerdings versuchte seiner Leserschaft zu gefallen, indem er andere Völker, in diesem Fall die Juden, und ihre Sitten als barbarisch beschrieb, wählte Flavius Josephus den gegenteiligen Weg und überhöhte die Römer, allerdings nicht auf Kosten der Juden. So ließ Flavius Josephus beide Parteien als ruhmreich und mächtig erscheinen während Tacitus Dinge rein aus römischer Sicht betrachtete und das Gegenüber damit automatisch diffamierte. Gesellschaft, Religion und Gesetz wurden von Tacitus als minder angesehen, lediglich das Alter des Volkes verlangen ihm Anerkennung ab. Durch seine Darstellung der Herkunft allerdings schmälert er das Ansehen des jüdischen Volkes ungemein. Flavius Josephus hingegen lobte die Römer im Vergleich mit anderen Völkern und räumt ihnen so das Anrecht auf die Vorherrschaft ein. Dem Judentum räumte er trotzdem eine Sonderstellung ein. Für Flavius Josephus war die Beweisführung des hohen Volksalters eine der Hauptantriebsfedern zum Verfassen von „Contra Apionem“. Dieses Volksalter erkannte zwar auch Tacitus an, allerdings schmälerte er ihre Herkunft durch eine wenig schmeichelhafte Darstellung ihrer Entstehungsgeschichte und eine vollkommene Umkehrung des Exils aus Ägyptens unter Moses.

 

Flavius Josephus schildert vieles am Judentum wesentlich wohlwollender als andere römische Autoren. So sieht er in der Verbindung zwischen Religion, Sitten und Gesetz einen durchaus vorteilhaften Zusammenhang, der die jüdische Gesellschaft in eine gute Richtung lenkt. Auch seine besondere Beschreibung von Kindererziehung und Bildung ist sehr positiv. Tacitus erwähnte dieses Detail gar nicht, sondern konzentrieret sich voll und ganz auf die für Römer unverständlichen Sitten innerhalb des Judentums wie die Speisevorschriften, die er als genussfeindlich schilderte. Besonders strich er den Einfluss der religiösen Vorschriften auf das Gesetz heraus. Tacitus hingegen sah diesen Zusammenhang nicht. Für ihn waren die Tempelsteuern oder die Gebote rund um den Sabbat ein Hindernis und er stellte diese Dinge in ein Licht, die das Judentum unter die römische Gesellschaft stellte. Tacitus ging in seinen Worten sogar so weit, dass er Juden als Menschenfeinde bezeichnete und ihnen in ihrer Andersartigkeit Menschenhass vorwarf. . Diese extreme Darstellung teilt Flavius Josephus zwar auch, allerdings bezieht der das sehr sittenstrenge Leben vor allem auf die Essener, denen er aber nicht zusprach.

 

Flavius Josephus Sicht auf das Judentum war wohl durch seine aristokratische, hellenistische und den Römern wohl nicht grundsätzlich abgeneigte Weltsicht etwas getrübt, ähnlich der Blase, die man heutzutage über Social Media erhält, wenn man sich vor allem innerhalb der eigenen Peer Group bewegt. Trotzdem ist es durchaus bemerkenswert, dass Tacitus diesen Aspekt der jüdischen Gesellschaft überhaupt nicht erwähnt, sondern sich rein auf die speziell jüdische Ausprägung der Sitten fokussierte. Auch die Ausrichtung neu gegründeter Städte am römischen Leitbild der Zeit wurde von Tacitus nicht erwähnt

 

Auch die Darstellung Jerusalems und des Umlandes waren bei den beiden Autoren sehr unterschiedlich. Flavius Josephus pries Jerusalem als eine der wohlhabendsten Städte innerhalb des Imperium Romanum. Davon sah Tacitus komplett ab. Er erwähnte Jerusalem nur als eine sehr gut ausgebaute Festung, die allerdings schlussendlich doch von den Römern eingenommen wurde. Seine Beschreibungen Palästinas, zum Beispiel des Toten Meeres, haben durchaus einen bedrohlichen Charakter, wenn er diesen Landstrich als schädlich für Mensch und Tier darstellt.

 

Tacitus sehr negative Beschreibung des Judentums weist viele antisemitische Stereotype auf, die sich über die Jahrhunderte teils bis in die Gegenwart bewahren konnten. Gerade das Streben nach Geld, wie Tacitus es den jüdischen Tempelpriestern vorwarf, ist ein Bild das Juden bis heute nachhängt. Auch die Abgrenzung zu anderen Völkern wird Juden noch immer vorgeworfen. Innerhalb des Imperium Romanum war die Meinung über die Juden sehr schlecht, was in weiterer Folge auch zu einer schlechten Behandlung der jüdischen Bevölkerung und zu unvorteilhafter Besteuerung und Gesetzen führte. Texte und Darstellungen über Andersartigkeit und Fremdheit der Juden wie sie durch Autoren wie Tacitus Verbreitung fanden, dienten dafür wohl als Basis. Die Geschichtsschreibung des Flavius Josephus hingegen findet im Staat Israel bis heute eine breite Anhängerschaft. Vor allem die Belagerung Massadas mit dem Massenselbstmord, die Flavius Josephus schildert, stellt für Israelis bis heute ein starkes Bild dar und gilt als nationales Epos. Das heldenhafte Bild jüdischer Soldaten und die Schläue die Flavius Josephus sich und seinen Volksgenossen zuschrieb, wurden im Zionismus gerne bemüht um das Selbstbild zu schärfen. Auch seine Beschreibung der Konzentration auf Erziehung und Bildung im Judentum zählen bis heute zum Bild, das Juden sehr gerne von sich haben.